Der eklatanteste Fall von »Union Busting« ist aktuell die Celenus-Klinik an der Salza in Bad Langensalza. Statt am Verhandlungstisch nach einer Lösung für den seit Monaten andauernden Tarifkonflikt zu suchen, kündigte der private Reha-Betreiber den Gewerkschafterinnen Heike Schmidt und Carmen Laue fristlos, weil sie Informationsmaterial zum Streik verteilt haben sollen. Im Mai 2018 eskalierte die Klinikleitung den Konflikt weiter, indem sie fünf Physiotherapeut/innen auf unbestimmte Zeit ausgesperrte – darunter den Betriebsratsvorsitzenden. Sie versuchte sogar, ihnen durch die Abmeldung bei der Krankenkasse den Versicherungsschutz zu nehmen. Auf Nachfrage erklärte Klinikdirektor Oleg Giese zunächst, der Arbeitskampf sei rechtmäßig. Später widerrief er diese Aussage und bezeichnete den Streik als illegal, weshalb die Ausgesperrten keinen Versicherungsschutz haben sollten. Dabei hatte das Landesarbeitsgericht Thüringen zuletzt am 5. April 2018 die Rechtmäßigkeit von Warnstreiks bei Celenus bestätigt. Laut Sozialgesetzbuch besteht der Versicherungsschutz auch während Arbeitskämpfen.
Die Kolleginnen und Kollegen der Celenus-Klinik sind fest entschlossen, nicht klein beizugeben. Sie wollen erreichen, dass in Bad Langensalza endlich angemessene Löhne gezahlt werden. Zur Zeit liegen die Entgelte nach ver.di-Berechnungen um bis zu 42 Prozent unter dem, was in den Kliniken der Deutschen Rentenversicherung bezahlt wird. In den unteren Entgeltgruppen bekommen viele kaum mehr als den gesetzlichen Mindestlohn.
Bereits 2013 hat ver.di die Klinik, die 2015 von Celenus übernommen wurde, zu Tarifverhandlungen aufgefordert. 2015 setzte die Belegschaft mit Warnstreiks und einem einwöchigen Erzwingungsstreik einen Manteltarifvertrag durch, der 2016 unterzeichnet wurde. Dieser beinhaltet unter anderem Ansprüche auf Urlaubsgeld sowie Zulagen und Zusatzurlaub für Schicht- und Wechselschichtarbeit. Sodann wurden Verhandlungen über einen Entgelt-Tarifvertrag aufgenommen, die eigentlich im Juli 2017 abgeschlossen sein sollten. Doch trotz großer Kompromissbereitschaft der Beschäftigten und mehrerer Warnstreiks verweigerte der Arbeitgeber ein tragfähiges Angebot. Stattdessen wollte er die Entgelte per Betriebsvereinbarung regeln. Der Betriebsrat lehnte das ab und stellte klar: Tarifverhandlungen über Löhne und Arbeitsbedingungen sind Sache der Gewerkschaft. Betriebsräte haben kein Streikrecht und daher kein Druckmittel, gute Regelungen durchzusetzen.
Die Beschäftigten haben mehrfach gezeigt, dass sie hinter ihrer Gewerkschaft stehen: 95 Prozent der ver.di-Mitglieder votierten in einer Urabstimmung im Dezember 2017 für einen unbefristeten Arbeitskampf. Im März 2018 bestätigten sie diesen Beschluss noch einmal. Versuche, einen Keil in die Belegschaft zu treiben, scheiterten. Einige Verwaltungsangestellte lancierten eine »Mitarbeiterbefragung« – mit freundlicher Unterstützung der Hamburger Unternehmensberatung Ziegler, die Firmen »in herausfordernden Situationen« unterstützt. Es beteiligte sich kaum mehr als ein Drittel der Beschäftigten und von diesen sprach sich weniger als die Hälfte für die Beendigung des Tarifkonflikts aus. Selbst als die Kolleginnen und Kollegen noch einmal auf einer Personalversammlung am 21. Juni 2018 bearbeitet wurden, brachte dies kein klares Votum im Sinne des Unternehmens. Ebenfalls gescheitert war zuvor der Versuch, Arbeitsniederlegungen vor Gericht verbieten zu lassen. Trotz Unterstützung durch die einschlägige Wirtschaftskanzlei Beiten Burkhard scheiterte das Unternehmen mit diesem Versuch, gewerkschaftliche Grundrechte auszuhebeln. Seither hat es sich offenbar darauf verlegt, einzelne Aktivistinnen zu attackieren.
Diese erreicht nicht nur die Solidarität von Gewerkschafterinnen und Gewerkschaftern aus dem ganzen Bundesgebiet. Auch der Kreistag im Unstrut-Heinrich-Kreis, der SPD-Landesvorsitzende Wolfgang Tiefensee und viele andere haben den im Arbeitskampf befindlichen Beschäftigten ihre volle Unterstützung erklärt. Thüringens Arbeitsministerin Heike Werner (Linke) und der Bürgermeister von Bad Langensalza, Bernhard Schönau (FDP), stellten sich als Schlichter zur Verfügung. Doch selbst darauf gab es vom Unternehmen keine Reaktion.
Auch international sorgt das Vorgehen des Unternehmens, das zur französischen Orpea-Gruppe gehört, für Empörung. »Dies ist nicht das Verhalten eines Unternehmens, das in seiner Branche (…) führend sein möchte«, heißt es in einem Schreiben von Jan Willen Goudriaan, Generalsekretär des Europäischen Gewerkschaftsverbands für den öffentlichen Dienst (EGÖD). Die französische Gewerkschaft CGT nannte es in einer Stellungnahme »beschämend, dass die französischen Tochterunternehmen im Jahr 2018 ein derartiges Verhalten zu Lasten der ganzen Bevölkerung, der Beschäftigten und der Bewohner« zeigten. Mit solchen »anti-sozialen« Maßnahmen werde es Orpea schwer haben, seinen Ruf in Europa zu verbessern, prophezeite Liliane Kumer, Vertreterin der Gewerkschaft CFDT bei der Orpea-Tochterfirma Clinea.
Michaela Guglberger und Willibald Steinkellner von der österreichischen Gewerkschaft vida zeigten sich in einem Solidaritätsschreiben »fassungslos, wie das Celenus-Management auf die vollkommen berechtigte und legitime Forderung seiner Beschäftigten nach höherer Bezahlung reagiert«. Dies zeuge von einer Unternehmenskultur, deren Ziel »die systematische Demontage des sozialen Zusammenhalts und das Ignorieren gewerkschaftlicher Grundrechte« sei. Ähnliche Kritik übten die Allgemeine Zentrale der freien Gewerkschaften in Belgien (CGSLB), die italienische Gewerkschaft FP-CGIL und die spanische FeSP-UGT. Sie alle wollen mit dem EGÖD besprechen, »welche weiteren gemeinsamen Maßnahmen ergriffen werden können, wenn das Unternehmen weiterhin Gewerkschaftsvertreter angreift«.
Die große Solidarität kommt nicht von ungefähr. In ganz Europa klagen Gewerkschafter/innen über die Methoden des hoch profitablen Konzerns. »Orpea setzt überall auf Expansion und Profitmaximierung – auf Kosten des Personals und der Pflegequalität«, sagt Adrian Durtschi, Leiter des Fachbereichs Sozialversicherungen und privates Gesundheitswesen (UNICARE) im internationalen Gewerkschaftsverband UNI Global Union, dem auch ver.di angeschlossen ist. »Uns liegen etliche Berichte aus verschiedenen Ländern vor, dass der Konzern dabei nicht davor zurückschreckt, gegen grundlegende Beschäftigtenrechte zu verstoßen.«
So zum Beispiel im Stammland Frankreich, wo Orpea schon 2014 durch die Bespitzelung von Beschäftigten und Gewerkschaftsmitgliedern für einen Skandal sorgte. Auch in jüngerer Zeit kam es in Einrichtungen von Orpea dort immer wieder zu Konflikten und Streiks, die sich unter anderem gegen Personalmangel und unzulässige Entlassungen richteten. So gingen Mitte Juli 2018 Beschäftigte der Résidence Saint Jacques in Paris auf die Straße, um gegen die Entlassung von zwei Pflegekräften und eines weiteren Beschäftigten zu protestieren, die einen unzulässigen Dienstplan zurückgewiesen hatten. Gewerkschaftsverbände wie CGT und FO kritisieren, dass das Unternehmen »systematische Angriffe auf die Grundrechte der Gewerkschaften« führe und »ein Klima der Angst unter den Beschäftigten« schaffe. Zudem unterstütze Orpea eine unternehmensnahe »gelbe Gewerkschaft«, um die Belegschaften zu spalten.
Berichte über unsoziales Verhalten, Personalmangel und prekäre Arbeitsbedingungen kommen auch aus der Schweiz, Polen, Spanien und Belgien. »Orpea setzt auf Repression, wenn sich Beschäftigte gegen schlechte Bedingungen zur Wehr setzen«, fasst Adrian Durtschi von UNICARE zusammen. »Aber wenn sich Kollegen nicht einschüchtern lassen und die Profite bedroht sind, kann auch dieses Unternehmen zu Zugeständnissen bewegt werden. Letztlich geht es ihm nur ums Geld.« Durtschi sieht nur eine Möglichkeit, einem solchen Konzern zu widerstehen: mit Solidarität, internationaler Organisierung und gemeinsamem Handeln. »Die Beschäftigten bei Orpea und anderen Pflegefirmen müssen zusammenhalten und sich gemeinsam für gute Arbeitsbedingungen und eine angemessene Bezahlung einsetzen.«